Neue soziale Begegnungszonen

Der alltägliche Weg zur Schule, zur Arbeit oder zu Freunden zeigt: Mobilität und Verkehr sind Grundvoraussetzungen für gesellschaftliche Teilhabe und Integration. Eine gute und sichere Fahrradinfrastruktur in der Stadt bietet die Grundlage dafür, Mobilität allen sozialen Schichten und beinahe allen Altersgruppen gleichberechtigt und kostenlos zu ermöglichen – ohne Kosten für Führerschein, Benzin oder ÖPNV-Ticket. Über den praktischen sozialen Nutzen hinaus haben gute Radwege aber auch eine große symbolische Kraft: „A bikeway is a symbol that shows that a citizen on a $30 bicycle is equally important as a citizen in a $30,000 car“ (1), sagt Enrique Peñalosa, Bürgermeister von Bogota, der der kolumbianischen Metropole zu einem beeindruckenden positiven Wandel verholfen hat.

Eine weitere wichtige soziale Komponente ist, dass durch attraktive Radwege der öffentliche Raum eine Aufwertung erfährt. Während Autoverkehr Schneisen in Form von breiten Straßen in der Stadt erfordert, entsprechen Radwege dem menschlichen Maßstab und schaffen Begegnungszonen, die kulturelle Interaktion und sozialen Austausch ermöglichen. Das Radfahren selbst ist ein Akt, bei dem man mit anderen interagiert. Augen, Gesichtszüge und Körper sind sichtbar und auch eine zwanglose verbale Kommunikation ist leichter anzustoßen als wenn zwei Autoscheiben die VerkehrsteilnehmerInnen voneinander trennen – insbesondere in Warte und Pausenzonen.

Radfahren verbindet und demokratisiert Mobilität und das tut auch Quartieren gut. Studien belegen, dass die Anzahl an Freundschaften in der Nachbarschaft mit verkehrsberuhigten Straßen steigt (2). Gemeinschaftliche Aktivitäten und Projekte können entstehen und das Mitgefühl mit den Mitmenschen steigt. Interaktionen und menschliche Begegnungen haben noch einen weiteren Nebeneffekt: Sie sind Grundvoraussetzung sozialer Kontrolle und wirken mildernd auf Kriminalität und deviantes Verhalten (3).

Während an manchen Orten Videokameras hängen, schauen an anderen Senioren auf Kissen gestützt aus dem Fenster: Der Effekt ist der Gleiche, aber die Atmosphäre eine komplett andere. Für Letzteres bedarf es lebendiger Straßen, auf den Menschen gehen, Radfahren, verweilen und interagieren können. Straßen, die nicht den Interessen des motorisierten Verkehrs untergeordnet sind, sondern auf denen der Verkehr den Interessen der NutzerInnen gehorcht. Auch hierfür steckt in der Radbahn ein hohes Potenzial.

74%
ist die Kriminalität im „Kessler Park” in Kansas City in einem Jahr gesunken, als die Straßen in seinem Umkreis am Wochenende autofrei blieben.

Kansas City Parks and Recreation Department (2009): Car-free Weekends on Cliff Drive Expand: Success of Pilot Program Leads to 102 Year-Round Expansion. Kansas.

3-mal
so viele Bekanntschaften haben Anwohner*innen verkehrsberuhigter Straßen in der Nachbarschaft im Vergleich zu Menschen, die an Straßen mit einem hohen Verkehrsanteil leben.

Appleyard, D. (1981): Livable Streets. University of California Press, Berkeley

(1) Peñalosa, E. (2013): Why buses represent democracy in action. TED Talk. https://www.ted.com/talks/enrique_penalosa_why_buses_represent_democracy_in_action/transcript
(2) Appleyard, D. (1981): Livable Streets. University of California Press, Berkeley.
(3) Jacobs, J. (1992): The Death and Life of Great American Cities. Vintage Books, New York.