Spreeluft

Noch eine Kurve und ab nach Friedrichshain

Schlesisches Tor Warschauer Straße

Der Ort

Die vielen Bars und Restaurants zur Linken und Rechten der Radbahn verführen dazu, einen Halt auf dem Weg zur Spree einzulegen. Zeit zur Reflexion!

In diesem Kapitel geht es um das Fahrerlebnis auf der Radstrecke selbst. Welche Vor- und Nachteile hat die Mittellage? Wie sicher, komfortabel und entspannt sind Radfahrerinnen und Radfahrer auf der Radbahn unterwegs? Wie animiert die Strecke Ungeübte mal wieder auf das Rad zu steigen. Ist die Radbahn auch eine Strecke, auf der Kinder und ältere Menschen sicher unterwegs sind?

Die Route

In Mittellage fahren wir die Skalitzer Straße hinunter, nördlich am U-Bahnhof Schlesisches Tor vorbei, um dann gleich nach dem berühmten Imbiss „Burgermeister” wieder zur Mittellage zu wechseln. Über die Oberbaumbrücke überlassen wir das schöne Backsteinviadukt den Fußgängern und ziehen auf die Straße. Mittels eines baulich separierten Zweirichtungsradwegs erreichen wir schließlich das Ziel: den Radbahnhof Oberbaum auf dem Grundriss des ehemaligen U-Bahnhofs Stralauer Tor.

Burgermeister

Dem Burgermeister, einem ehemaligen Toilettenhäuschen unter der Bahn, in dem heute Burger serviert werden, kommen wir nicht zu nahe, denn auch dies ist ein hervorragend funktionierendes Beispiel für die Aneignung von städtischem Raum. Vom Schlesischen Tor kommend weichen wir nördlich aus, bieten für hungrige Radler eine Miniplaza mit Absteigemöglichkeit, oder fahren ganz einfach tief luftholend daran vorbei, bevor wir zur Recta final gelangen.

Schlesisches Tor und Burgermeister

Sicherheit der Radstrecke

Die wichtigste Frage eines neuen Radwegs ist die nach der Sicherheit. Ziel sollte immer sein, dass auch Kinder, Ältere und ungeübte Erwachsene sicher auf ihm fahren können und sich auch sicher dabei fühlen. Betrachtet man die Radstrecke also rein verkehrstechnisch, so liegt ihre Besonderheit in der Nutzung der Mittellage, die mehrere Vorteile und auch einen Nachteil mit sich bringt.

Der wichtigste Vorteil ist, dass die Radbahn durch ihre bauliche Separierung grundsätzlich sicherer als ein Radstreifen am Straßenrand ist. Denn dadurch sind Radfahrende geschützt vor häufigen Unfallursachen wie plötzlich aufgehenden Autotüren oder dem gefährlichen Aus- und Einfädeln in den fließenden Autoverkehr auf Grund von auf der Radspur haltenden Autos oder Lieferfahrzeugen. Auch die häufigste Ursache für schwere Radunfälle, Radwege kreuzende (abbiegende) Autos, wird durch die Mittellagen-Variante gemildert, da 1) auf der Strecke zwischen Oberbaumbrücke und Zoo die Radbahn generell weniger Kreuzungspunkte mit dem motorisierten Verkehr hat und 2) Radfahrende im Blickfeld der Autofahrenden sind, die links im Fahrzeug positioniert sind. Verkehrstechnisch einzig nachteilig an der Mittellage ist, dass Autofahrende hier nicht mit Radverkehr rechnen – zumindest nicht in Deutschland. Aus diesem Grund empfehlen wir Linksabbiegerampeln und eine visuell und physisch für Autofahrende immer in der Wahrnehmung bleibende Sicht auf die Radbahn. So könnte die Ausnahme schnell zur Gewohnheit werden.

Unfälle zwischen Auto und Fahrrad sind zwar meist verheerender, aber auch die Gefahr eines Zusammenstoßes zwischen zwei Radfahrer kann groß sein – insbesondere auf einem Zwei-Richtungs-Radweg wie der Radbahn. Deshalb haben wir ERA und RASt (technische Regelwerke im Straßenwesen) studiert und an den Stellen, an denen die Radbahn die empfohlene Breite unterschreitet, das Viadukt verlassen (am Landwehrkanal sowie zwischen Görlitzer Bahnhof und Lausitzer Platz). Die Gefahr, die von aggressiven Radfahrenden für sie selbst und andere ausgeht, sehen wir auf der Radbahn deutlich geringer als auf herkömmlichen Straßen mit oder ohne Radstreifen. Das eigentlich auf natürliche Weise Glückshormone ausschüttende Radfahren verkehrt sich nämlich normalerweise nur dann in ein aggressives Verhalten, wenn eine emotionale Aufregung stattgefunden hat und es zu Konflikten mit verschiedenen Nutzergruppen kommt, wie auch Bernhard Schlag, Professor für Verkehrspsychologie an der TU Dresden, erklärt (1). Das Gefühl, um den eigenen Platz im Straßenverkehr aggressiv kämpfen zu müssen, sollte auf der Radbahn keiner mehr zu spüren bekommen – dafür sorgt auch der beschriebene Fahrkomfort, wie beispielsweise die „Kommunikation” der Ampeln mit den Radfahrenden.

Fahrkomfort der Radstrecke

Neben der einmaligen Qualität der vor Niederschlag geschützten Radbahn und der erläuterten höheren Sicherheit spielen auch der Bewegungsfluss und allgemeine Fahrkomfort auf einer Radstrecke eine bedeutende Rolle. Eine angenehme und attraktive Infrastruktur zeugt von Wertschätzung der Stadtgesellschaft gegenüber Radfahrerinnen und Radfahrern. Kleine Gimmicks erhöhen Spaß und Motivation am urbanen Radfahren und ein „thank you for cycling“, wie es beispielsweise in Kopenhagen auf Rad-Infrastruktur Elementen geschrieben steht, ist eine simple Geste mit einer großen psychologischen Wirkung. Unten einige Beispiele, die sich entlang der Radbahn realisieren ließen.

(1) Fahrbahnaufbau alternativ:

  • Variante Beton
  • Variante Asphalt durchgefärbt
  • Variante „Bestandsaktivierung“

(2) Grünstreifen, inkl. Drainage
(3) Verbindung Straßenentwässerung
(4) Interkommunikative Ampel
(5) Leitsystem Radbahn
(6) Blendfreies, warmes Licht
(7) Lichtleiste Geschwindigkeit
(8) Fußstütze an Ampeln
(9) Geneigte Mülleimer

Belag

  • durchgefärbt zur besseren Erkennung seitens der Kfz- Fahrenden, Erhöhung der Sicherheit für Radfahrende
  • Reibungsarm, um gut voranzukommen
  • Licht absorbierend und solarempfindlich (wie z.B. in Lidzbark Warminski, Polen)

Mobiliar

  • Sitzgelegenheiten
  • Abstellmöglichkeiten, teilweise in diebstahlsicheren Boxen
  • Gegen die Fahrtrichtung geneigte Mülleimer zur Abfallentsorgung während der Fahrt (wie z.B. in Kopenhagen)
  • Fußstützen an Wartebereichen vor Kreuzungen (wie z.B. in Kopenhagen)

Licht

  • Angenehmes, warmes Licht durch energiesparende LED-Technik bei Nacht und an regnerischen dunklen Tagen

Ampel – Radfahrer – Kommunikation

  • Digitaler Countdown, der Radfahrer bereits 100 Meter vor Ampelkreuzungen anzeigt, ob sich eine Beschleunigung lohnt oder lieber gebremst werden sollte (wie z.B. in Kopenhagen oder in Utrecht mit Symbolen)
  • LED-Schlauch entlang der Strecke: Ein nur aus der Perspektive der Radfahrenden erkennbares Licht lässt sie wissen, bei welcher Geschwindigkeit die nächste Ampel-Grünphase erreicht wird (wie z.B. in Utrecht http://lightcompanion.bike)
  • App, die zu jeder Zeit, abgestimmt auf die vorher eingespeicherte Route und die Leistungsfähigkeit der Nutzer, die ideale Geschwindigkeit anzeigt. Lohnt es sich etwas an Zahn zuzulegen, oder ist es sinnvoller, das Treten zu verlangsamen, um entspannt durch die nächste grüne Ampelphase zu radeln?
  • Sensoren an Ampelanlagen, die an Regentagen die Grünphasen des Radverkehrs verlängern – zur Belohnung, dass trotz Regen mit dem Rad gefahren wird (wie z.B. in Rotterdam und Groningen)

Radfahren im Schutze der Hochbahn – auch bei Regen attraktiv

Schnitt durch die Oberbaumbrücke

Angekommen

Das Ziel ist erreicht. Auf der nördlichen Seite der Oberbaumbrücke schließt die teilweise schon fertige, teilweise geplante Radstrecke entlang der ehemaligen Zollmauer (Warschauer Straße – Petersburger Straße – Danziger Straße) an. Noch eine andere historische Mauer ist hier gegenwärtig: die East Side Gallery ist eine der touristischen Hauptattraktionen Berlins.

Der hier angedachte Radbahnhof auf den Grundrissen des Hochbahnhofs Stralauer Tor könnte Infopunkt und Verleihstation in einem sein.

Oberbaumbrücke und Radbahnhof Stralauer Tor

Der Hochbahnhof Stralauer Tor um 1902, im 2. Weltkrieg wurde er zerstört
Fotograf unbekannt, Quelle: Susanne Hattig und Rainer Schipporeit: Großstadt-Durchbruch - Pioniere der Berliner U-Bahn Photographie um 1900, Jaron Verlag, Berlin 2002

Info-Point am Grundriss des ehemaligen Bahnhofs Stalauer Tor

[...] An einer menschengerechten Stadtentwicklung wirken in Berlin zivilgesellschaftliche Initiativen wie die Radbahn mit spielerischen und gleichwohl realisierungsnahen Lösungsvorschlägen mit. Eben: Typisch Berlin. Geben wir ihnen Gehör und lassen sie ihre Vorstellungen umsetzen. Berlin und die BerlinerInnen aus aller Welt können dabei viel gewinnen. Andreas Krüger, Stadtentwickler, u.a. Mitinitiator des Gewerbe- und Kreativquartiers am Moritzplatz

(1) The Telegraph (2015): Cyclists are 40 per cent less stressed than other commuters. The Telegraph. 14.05.2015. http://www.telegraph.co.uk/men/active/recreational cycling/11603491/Cyclistsare-40-per-cent-less-stressed-than-other-commuters.html